DARMSTADT . Axel Kromer kennt den deutschen Handball aus allen Blickwinkeln. Als Spieler, als Vereinstrainer, als Co-Trainer der Nationalmannschaft, als Nachwuchskoordinator und seit 2017 als Sportdirektor im Deutschen Handball-Bund. Im ECHO-Interview spricht der 42 Jahre alte Ludwigsburger über Fernsehzeiten, harte Arbeit in den Vereinen und den „Geruch des Handballs“ in altehrwürdigen Sporthallen.
Herr Kromer, beim von der HSG Bieberau/Modau initiierten „Merck-Falken-Talk“ geht es auch um den Kampf des deutschen Handballs im Schatten des Profifußballs. Haben Sie in ihrer Arbeit tatsächlich das Gefühl des Schattendaseins?
Das Schattendasein ist auf keinen Fall immer präsent. Wir haben eine Zielgruppe, die wir mit sehr guten Inhalten und Werten und auch sehr tollem Sport treffen. Wir versuchen wie andere Sportarten auch, frühzeitig Mitglieder für den Handballsport zu begeistern und möglichst langfristig zu binden. Letztlich ist das der gleiche Kampf, den auch der Fußball aktiv führt. Man hört ja auch, dass der Fußball etwa darunter leidet, dass das Nationalteam Fans verloren hat.
Die Fußball-Nationalmannschaft hatte zuletzt tatsächlich Probleme, die Stadien zu füllen. Gilt das auch für die Handball-Nationalmannschaft?
Unser Länderspiel am 4. Januar in der SAP-Arena gegen Island ist seit vier Wochen ausverkauft, was eine unglaubliche Begeisterung für das Nationalteam im Moment darstellt. Natürlich sind wir auch den Weg gegangen, den der Fußball gegangen ist, nämlich raus aus den alten Leichtathletikstadien mit alten Holzbänken und Stadionwurst. Im Handball ist es ähnlich, dass wir eben nicht mehr in die klassischen Schulsporthallen gehen. Dort liegen zwar die Wurzeln des Handballs. Aber natürlich haben wir auch eine Kundschaft und nicht nur eine Mitgliedschaft. Und die Kunden erwarten eben auch große Events, die mehr als nur das reine Handballspiel mit sich bringen.
Gefühlt gibt es aber eine große Diskrepanz zwischen der Begeisterung während der großen Meisterschaften und dem sportlichen Alltag.
Das liegt auf der einen Seite auch daran, dass es dem Deutschen Handball Bund gelungen ist, mit den Fernsehsendern eine Partnerschaft zu knüpfen, mit der wir in den nächsten Jahren alle großen Meisterschaften in den öffentlich-rechtlichen Kanälen präsentieren können. Aber ich glaube auch, dass seit dem Sommermärchen im Fußball 2006 und der Handball-WM 2007 Deutschland einfach nach großen Events lechzt und die Begeisterung auch zu allen überschwappt, die nicht reine Handballer sind.
Aber wie groß ist eben auf der anderen Seite der Frust, eine wirklich attraktive Handball-Bundesliga nur schwer ins Fernsehen zu bringen?
Die Handball-Bundesliga ist mit ihrer Partnerschaft mit Sky besser denn je versorgt. Aber es ist eben so, dass in Deutschland nicht die Mentalität Einzug gehalten hat wie in England oder USA, wo in jedem Haushalt fünf verschiedene Receiver stehen. Wir Deutschen sagen, mit unserer GEZ zahlen wir schon genug für Dinge, die wir nicht nutzen. Ich selbst bin begeistert, wieviel Handball ich und meine Söhne über Sky schauen können. Aber dadurch gewinnen wir natürlich keine weiteren Fans, weil es keinen freien Zugang zum Handball gibt. Das gelingt nur über die öffentlich-rechtlichen Sender. Deswegen ist es auch wichtig, dass diese die Interessen der Gesellschaft abbilden und verschiedene Sportarten zeigen.
Wir bewegen uns bei der HSG Bieberau/Modau in der Dritten Liga. Welche Nöte kommen auf dieser Ebene beim DHB an?
Generell ist es erst einmal so, dass die Dritte Liga eine Art Wiege des Handballs ist. Ich habe selbst schon als Trainer des Gegners in Groß-Bieberau gespielt. Es sind genau diese Bedingungen: historische Sporthallen, Tribünen und Mannschaftsbänke bis an den Spielfeldrand. Das ist dieser Geruch des Handballs, der lebt in diesen Hallen. Ich bin selbst in einem noch viel kleineren Verein aktiv. Wenn du da in die Halle kommst, ist das dein zweites Wohnzimmer. Für mich ist dies der pure und ehrliche Handball. Da gibt es eben das typische Bier aus der Flasche und das von ehrenamtlichen Helfern zubereitete Mettbrötchen.
Was wirtschaftlich aber auch ein Kraftakt ist für viele Vereine.
Selbstverständlich. Dritte Liga ist ja schon Leistungshandball. Ich schätze mal, die Mannschaft von Bieberau/Modau hat vier Mal Training in der Woche. Das ist schon ein Nebenberuf. Das heißt, die Vereine müssen den Spielern Aufwandsentschädigungen bereitstellen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Auch durch die Reisen und die Hallenreinigungen wegen des Harzes entstehen hohe Kosten. Da ist es eben eine Sisyphusarbeit für die meist ehrenamtlichen Manager und Abteilungsleiter. Sie müssen Klinken putzen und bei der regionalen Wirtschaft nach Gönnern suchen.
Gefühlt lockt der Handball aber gerade in tieferen Klassen mehr Zuschauer. In unserer Region sind 200, 300 Zuschauer in einem Bezirksligaspiel keine Seltenheit, während ein Fußball-Hessenligist froh ist, wenn mal 150 Zuschauer kommen.
In die Handballfamilien wird man sehr oft hineingeboren. Der Handballer scheidet selten komplett aus dem Verein aus. Ich habe auch einen Sohn, der Fußball spielt und da ist für mich auch zu erkennen, dass die Bindung zum Verein nicht ganz so groß ist. Oft sagen Eltern: Wenn im nächsten Verein die Trainingszeiten etwas besser passen, dann gehe ich eben da hin. Im Handball ist die Bindung größer, man sozialisiert die nächste Generation in den Verein einfach rein.
Sie sind selbst auch als Jugendtrainer aktiv. Wie groß oder vielleicht auch klein sind die Sorgen um den Handball-Nachwuchs?
Ich weiß, dass wir tagtäglich an diesen Aufgaben arbeiten, im DHB, in den Landesverbänden und natürlich in den Vereinen. Wir kennen die Aufgaben, dass wir uns da aktiv um die Akquise kümmern müssen. Dass wir etwa mit Aktionen an den Schulen neue Kinder werben oder Jugendliche zurückholen zum Handball. Wir können sicher immer mehr machen, aber wir sind da gut aufgestellt und der Begriff Sorge wäre mir an dieser Stelle zu negativ behaftet.
Das hört sich nach weniger Sorgen an als an der Basis rauszuhören sind?
Nein, wir kennen aber unsere Aufgaben. Wir haben Medaillen gewonnen und die Hallen sind voll. Da könnten wir die Füße hochlegen und genießen. Aber wir müssen genau jetzt, wo wir das Potenzial auch haben, weiterinvestieren und sagen: Sowohl die Mitgliedergewinnung ist ein wichtiger Baustein, aber auch der Leistungssport. Man muss vorausschauend sein und sagen: Jetzt können wir uns das gerade erlauben und Kampagnen starten, um unsere Ziele zu erreichen. Nämlich den Mitgliederschwund, den es im Sport im Allgemeinen gibt, vom Handball fernzuhalten.
Das Interview führte Udo Döring.
„MERCK-FALKEN-TALK“ IN DARMSTADT
Axel Kromer ist einer der Experten beim ersten „Merck-Falken-Talk“ am heutigen Mittwoch (19 Uhr) in der Darmstädter Lichtenbergschule. Zur Talkrunde mit dem Thema „Situation des Handballsports in Deutschland“ gehören zudem Jennifer Kettemann (Geschäftsführerin Rhein Neckar Löwen GmbH), Dirk Sulzmann (Leiter Kommunikation Merck), Jens-Jörg Wannemacher (Ressortleiter Sport der ECHO-Zeitungen), Michael Spatz (Spieler TV Großwallstadt) und Georg Gaydoul , der als Geschäftsführer der HSG Bieberau/Modau zu den Ideengebern der Veranstaltung gehört, mit der der Drittligist auch seiner Aufgabe als Führungskraft im Handball der Region Darmstadt-Dieburg gerecht werden will.